Thomas R. P. Mielke – Versuche einer Einordnung.

Ein Nachruf von von Jörg Weigand

Manchmal darf man sich nicht scheuen, gleich zu Beginn auch Bekanntes und sozusagen Selbstverständliches auszusprechen: Mit Thomas R. P. Mielke ist ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter, ein besonderer Autor von uns gegangen. Ein deutscher Autor der Science Fiction, der international Karriere gemacht und besondere Anerkennung gefunden hat; aber auch ein Autor historischer Romane, die sich durch besonders sorgfältig recherchierte Hintergründe und personenbezogene Details auszeichnen.

Das war – sozusagen – bereits ein Fazit zu Beginn dieses Nachrufs. Hier nun diverse Anmerkungen zu diesem Autor, der es bereits in jungen Jahren verstand, seine Romane erfolgreich zu vermarkten.

Alles begann 1955: Der junge Thomas R. P. erfuhr aus einem „Jim Parker“-Romanheft, dass ein deutscher Science Fiction-Club gegründet worden war. Er schrieb an die angegebene Adresse, das jugendliche Alter war für den Mitbegründer und Organisator Walter Ernsting kein Hindernisgrund; der junge Thomas erhielt seine Mitgliedsnummer. Und schielte – wie es den Anschein hat und tatsächlich auch war – sofort nach Weiterem, sozusagen nach Höherem. Zwei Jahre später bereits reiste er nach London und repräsentierte auf dem dort stattfindenden SF-Wordcon als einer von Vieren die deutsche (seit kurzer Zeit organisierte) Science Fiction-Szene. Im Rückblick könnte man das bewerten als den zum Ausdruck gebrachten Willen, in der SF „etwas“ zu werden. Und das wurde TRPM dann auch.

Zunächst orientierte er sich an den Leuten, die er im SFCD vorfand. Autoren wie Walter Ernsting (alias Clark Darlton) oder Ernst H. Richter (alias William Brown oder Ernest Terridge), aber auch an ehrgeizigen Fans wie Winfried Scholz, die es den Autoren nachmachen wollten und denen das auch gelang. Beispiel Scholz, der 1958 als „W. W. Shols“ seine ersten Leihbuchtitel wie „Tödlicher Staub“ oder „Die Zeitpatrouille“ vorweisen konnte.

Für Thomas R. P. Mielke begann alles mit einem Leihbuch mit dem Titel „Unternehmen Dämmerung“, von dem der Autor im Nachhinein selbst als einem „schlechten Erzeugnis“ sprach: das Ergebnis der Sehnsucht eines jugendlichen SF-Fans, auch ein Buch zu veröffentlichen. Dem folgten vier weitere (Spionage-)Leihbücher, von denen zwei einige SF-Elemente aufweisen. All das war in den Jahren 1961/1962.

Thomas R. P. Mielke ist und bleibt: Ein „Big Name“ der deutschen Science Fiction.

Jörg Weigand

Hier sei eine kurze Episode eingefügt, als ich Mielke das erste Mal traf. Ich hatte beruflich in den 80er Jahren in Berlin zu tun und ein Anruf bei ihm bescherte mir eine Einladung zum Abendessen in seinem Haus am Wannsee. Der Arbeitsbereich des Autors lag im Keller und dort hatte Mielke unter anderem stolz die Cover seiner allerersten (Leihbuch-)Romane – fein gerahmt – augfgehängt. Allerdings gab es da nur vier Cover zu sehen, es fehlte der vierte Spionage-Titel „Verrat war seine letzte Chance“, von Mielke als „Roy Marcus“ verfasst. Mielke merkte mir gegenüber an, er sei sich nicht sicher, ob der Titel überhaupt ausgeliefert worden sei; das Honorar habe er zwar erhalten, nie aber ein Belegexemplar gesehen. Nun, da konnte ich ihn beruhigen, denn in meiner Sammlung gab es diesen „Schmöker auf dickem Papier“. Und kurze Zeit später konnte sich der Autor über ein eigenes Exemplar freuen – sogar komplett mit unbeschädigtem Schutzumschlag.

Nach diesen fünf Leihbuchtiteln gab es, soweit ich unterrichtet bin, eine drei- bis vierjährige Pause. In der Folge legte der junge Autor so richtig los. Er hatte das Romanheft als passendes Medium für seinen ungezügelten Publizierdrang gefunden. Mit Schwerpunkt beim Rastatter Zauberkreis-Verlag begann eine umfangreiche Produktion von SF-Romanen, zunächst unter Klarnamen wie auch als „Michael C. Chester“, dann schwerpunktmäßig als „Marcus T. Orban“. Insgesamt waren das an die 40 Titel – man kann sagen, damit dominierte Mielke ziemlich eindeutig das Programm. Daneben erschienen unter verschiedenen (Sammel-)Pseudonymen wie zum Beispiel „Cliff Corner“, „Bert Floorman“, „Henry Ghost“ und „John Taylor“ Kriminal- und Spionageromane; auch damit setzte Mielke seine Leihbucharbeit im kleineren Medium fort.

Es ist bislang viel zu wenig beachtet worden, dass es Mielke insbesondere bei die „Marcus T. Orban“-Romanen gelang, eine eigenwillig-besondere Qualität zu Papier zu bringen, die in späteren Jahren zu Nachdrucken in Form von repräsentativen Buchausgaben in den Verlagen „Das Beste“ und „Bastei-Lübbe“ sowie Schneekluth führte. Es gibt nicht viele Heftroman-Autoren, die Derartiges vorweisen können.

Es ist bekannt, dass Mielkes Verhältnis zum Romanheft etwas Besonderes war. Er arbeitete bei „Rex Corda“ mit und war maßgeblich an der Anfangsgestaltung der „Terranauten“ beteiligt und zwar auch dann, als er bereits „nach Höherem“ strebte, wie man so sagt – als er nämlich den normalen Sortiments-Buchhandel für seine Romane anvisierte.

Als erstes erschien bei den Heyne-Taschenbüchern „Grand Orientale 3001“ (1980), gefolgt von „Der Pflanzen Heiland“ (1981) und „Sakriversum“ (1983). Wer die drei Titel hintereinander liest, kann eine deutliche Qualitätssteigerung feststellen. Für den Nicht-Romanheftleser war quasi aus dem Nichts ein neues deutsches SF-Genie aufgetaucht. Thomas R. P. Mielke war innerhalb weniger Jahre zum großen Namen in der deutschen Science Fiction geworden. An diesen drei Romanen konnte und musste ab sofort jeder Autor sich messen lassen, der in der SF deutscher Sprache etwas veröffentlichte.

Denn da war jemand, der ungeachtet der bislang vorgelegten Romane und Erzählungen etwas alarmierend Neues vorlegte: Neuartige, komplex und dabei hinreißend spannend erzählte Welten, in denen sich der Leser sofort wohl fühlte. Es war, als habe alle (deutsche) Welt darauf gewartet, dass endlich d e r Autor auftaucht. Und voilà: da war er! Und gleich mit drei Romanen hintereinander, einer besser als der andere.

Dann der Bruch: Der Autor Mielke hatte sich nicht daran gehalten, was doch „jeder“ wusste – never change! Mielke brachte etwas Neues, etwas Politisches, eine Vorhersage, die in ihrer Plausibilität auf absoluten Unglauben stieß. Aber ist das nicht überhaupt eines der Merkmale der Science Fiction? Zumindest Wolfgang Jeschke sah das anders. Er lehnte „Der Tag, an dem die Mauer brach“ ab und war dabei in seiner Einschätzung durchaus in guter Gesellschaft, denn selbst die Kultur- und Politikspezialisten des „Stern“ waren der Meinung, dergleichen sei in den kommenden 25 Jahren nicht möglich.

Mielke wechselte zu Bastei-Lübbe, wo der Roman 1985 erschien, wenige Jahre, bevor die Mauer wirklich (u. a. von den eifrig hämmernden „Mauerspechten“, zu denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen zählen darf) zerbrochen wurde. Es folgte im gleichen Verlag noch „Die Entführung des Serail“, die mir immer noch nicht ganz gelungen scheint. Vielleicht mag es daran liegen, dass für den Autor inzwischen ein Themenwechsel angesagt war. Die SF war nicht mehr so stark in Mielkes Blickfeld, er suchte nach Neuem. Wann dieses Suchen angesetzt hatte, weiß ich nicht, doch gehe ich davon aus, dass ihn solche Überlegungen über Jahre beschäftigt haben.

Etwa in der Zeit, als der „Serail“ fertiggestellt war, rief mich Mielke in Bonn an, wo ich im ZDF-Studio als Redakteur tätig war. Ich war sozusagen der Wald, in den Thomas R. P. seine Überlegungen und Vorschläge hineinrief, und ich war wiederum verantwortlich für das Echo auf das, was er mir vortrug. Kurz: Der historische Roman schien auch mir ein (damals noch nicht in dem Maße) Feld zu sein, um das zu kümmern sich lohnte. Rückblickend denke ich, dass Thomas letztendlich nur noch eine Bestätigung dessen suchte, was er bei sich selbst bereits beschlossen hatte – und: dass die entsprechenden Recherchen bereits angelaufen waren.

Mit diesen historischen Romanen startete Thomas R. P. Mielke eine Weltkarriere. Bereits sein erster Titel „Gilgamesch. König von Uruk“ wurde auf Betreiben des Goethe-Instituts ins Arabische übersetzt; und auch die weiteren Titel wie etwa „Karl der Große“, „Karl Martell“ oder der Fugger-Roman „Gold für den Kaiser“ waren überzeugende, weil es sich um auf handfesten, fast minutiösen Recherchen beruhende historische Gemälde handelt, die zeitlos sind und bleiben werden. Nicht vergessen werden darf seine Zusammenarbeit mit Astrid Ann Jabusch: es entstand die erste deutsche Prosaversion des „Orlando furioso“, eine sehr gelungene Kooperation.

Wenn hier auf Mielkes „historische Produktion“ sozusagen nur am Rande Bezug genommen wird, dann liegt es zum einen daran, dass der historische Roman nie mein Arbeitsfeld war, und zum anderen, dass ich von diesen Titeln auch nur einen verschwindend kleinen Teil wirklich gelesen habe.

Für mich bleibt Thomas R. P. Mielke immer ein Autor, der der deutschen Science Fiction entscheidende Impulse gegeben hat: Ein Freund, der sich auch über die Erfolge anderer aufrichtig freuen konnte. Und der angesichts seiner enormen und dabei erfolgreichen Produktion dennoch immer hilfsbereit und (relativ) bescheiden blieb.

Thomas R. P. Mielke ist und bleibt: Ein „Big Name“ der deutschen Science Fiction.

»Thomas R. P. Mielke – in memoriam (1940 – 2020) Versuche einer Einordnung« von Jörg Weigand (erschien zuerst in Nova 30, herausgegeben von Michael K. Iwoleit und Michael Haitel).


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