Autor Thomas Rudolf Peter Mielke ist am 31. August 2020 im Alter von 80 Jahren verstorben. Für einen Nachruf kenne ich weder den Menschen Thomas R. P. Mielke noch seine Werke gut genug, ich hatte glücklicherweise (und leider nur) zweimal die Gelegenheit, ihn zu treffen, und davon möchte ich in seinem Andenken berichten.
Meine erste Begegnung mit Thomas R. P. Mielke war ziemlich zu Beginn meiner Fanlaufbahn auf einer der ersten SF-Conventions, die ich besuchte: am 12. und 13. März 2005 auf der 3. DortCon, deren deutschsprachiger Ehrengast er war.
Ein Conbericht von Florian Breitsameter findet sich unter www.sf-fan.de/conberichte/dort-con-2005.html.
Viel ist mir davon leider nicht im Gedächtnis geblieben (ist ja auch 15 Jahre her), nur dass er ein humorvoller und äußerst unterhaltsamer Erzähler war. Wahrscheinlich gibt es von seinen Programmpunkten Aufzeichnungen in der Phonothek des SFCD, für diesen Artikel fehlte mir die Zeit zur Überprüfung. Ich glaube nicht, dass ich Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen. Immerhin beherbergt meine Bibliothek ein Andenken an diese Begegnung: die Erstauflage der Rowohlt-Paperbackausgabe von »Das Sakriversum« mit seiner Signatur und Datum 12.03.2005.
Mein zweites Zusammentreffen mit Thomas R. P. Mielke fand neunzehn Jahre später statt, etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod. Mit Jörg Ritter, der mich in seinem Auto mitnahm, und weiteren regelmäßigen Besuchern des Science-Fiction-Treffs Darmstadt war ich vom 13. bis 17. Juni 2019 erstmals auf der alle zwei Jahre stattfindenden OldieCon in Unterwössen im Chiemgau. Ein Conbericht von Jörg Ritter und mir findet sich in Andromeda Nachrichten 267 auf den Seiten 22–25. Ich war mit der Hoffnung gefahren, auf der Convention mehr über die Geschichte des Science-Fiction-Fandoms in Deutschland zu erfahren. Das hat in vielerlei Hinsicht gut geklappt. Zu den dort Anwesenden gehörten auch Thomas R. P. Mielke und seine Lebensgefährtin Astrid Ann Jabusch, ebenfalls Autorin (meine Bibliothek wurde durch ein von beiden signiertes Exemplar von »Orlando furioso« bereichert).
Birgit »BiFi« Fischer meinte, ich solle unbedingt mit Thomas sprechen, da er die EuroCons mit initiiert habe, und hat auch Thomas darum gebeten. Am Vormittag nach dem eigentlichen Con-Abend, also am Sonntag, dem 16. Juni 2019, hat Thomas sich Zeit für mich genommen und auch erlaubt, das Gespräch (Interview trifft es nicht wirklich, da ich nur zwei Fragen gestellt habe) für die SFCD-Phonothek aufzuzeichnen. Das mit dem sich Zeit nehmen meine ich ernst: Die Aufzeichnung hat eine Länge von 99 Minuten. Für dieses Gespräch bin ich Thomas sehr dankbar.
In Unterwössen wurde Thomas von Jörg Weigand, der gerade seine Lebenserinnerungen unter dem Titel »Abenteuer Unterhaltung: Erinnerungen an 60 Jahre als Leser, Autor und Kritiker« bei Dieter von Reeken herausgebracht hatte, aufgefordert, dort ebenfalls seine Lebenserinnerungen zu veröffentlichen. Ich weiß nicht, ob dieses Projekt in Angriff genommen wurde, Thomas zeigte jedenfalls Interesse und hatte sich bereits überlegt, das Ganze nicht chonologisch anzugehen (»chronologisch ist langweilig«), und suchte nach einer anderen Herangehensweise. Im Verlauf des Gesprächs kam er auf die Möglichkeit, Vorhaben in solche, die geklappt hatten, und solche, bei denen er Lehrgeld zahlen musste, zu unterteilen.
Ich persönlich finde eine chronologische Sortierung durchaus nützlich und werde daher im Folgenden ungefähr der zeitlichen Reihung folgen, soweit ich sie feststellen kann.
Thomas R. P. Mielke war als Siebzehnjähriger auf der ersten WorldCon in Europa vom Freitag 06. bis Montag 09. September 1957 in London. Er hatte nicht viel Geld, also hat er ein Bündel mit etwas Kleidung und einem halben Brotlaib geschnürt und ist per Anhalter zur Fähre gereist, hat die Nachtüberfahrt genommen, die ihm eine Hotelnacht gespart hat, und ist in England dann weiter bis zum Conhotel getrampt. Das hatte eine interessante Etagenaufteilung: Je höher man kam, desto so einfacher und billiger wurden die Zimmer. Thomas hat für fünf DM ganz oben im Hotel übernachtet. Über die Anzahl der (west-) deutschen Teilnehmer gibt es widersprüchliche Angaben: Thomas war einer von seiner Erinnerung nach nur fünf deutschen Teilnehmern und immer der Meinung, Walter Ernsting sei 1957 ebenfalls in London gewesen, was dieser jedoch stets verneint hatte.
In »Vergangene Zukunft, Thomas R. P. Mielke zum achtzigsten Geburtstag« (p.machinery, Februar 2020) schreibt Prof. Dr. Walter Gödden auf Seite 28: »Außer ihm waren nur noch drei weitere Deutsche bei dem Treffen dabei, einer davon der SF-»Übervater« (Mielke) Walter Ernsting alias Clark Darlton […].«
Der Text erweckt den Eindruck, diese Information stamme von Thomas, das war dann, bevor Walter Ernsting ihm erklärt hatte, selbst dort nicht gewesen zu sein. Als Primärquelle habe ich eine Ankündigung in Andromeda 12 (Juli/August 1957) auf Seite 49 unten gefunden, in der sechs westdeutsche Teilnehmer aufgelistet werden, darunter Thomas Mielke, nicht aber Walter Ernsting. Als einer der wenigen Deutschen wurde Thomas auch von der BBC interviewt, zusammen mit dem Verlegerpaar Kyle. Dabei ging es auch um die allgemeine Situation in Deutschland – zu der Zeit gab es in Großbritannien noch Lebensmittelkarten!
Interessant ist die Entstehungsgeschichte der ersten WorldCon in Europa: WorldCons sind eine US-amerikanische Erfindung, und sie wurden anfangs in einem Vierjahresrhythmus abgehalten nach der Maßgabe einmal Ostküste, einmal Westküste, einmal in der Mitte, und einmal »somewhere« (irgendwo). Dieses Schlupfloch nutzte der Fan und Verleger Dave Kyle (Gnome Press, verlegte u. a. Isaac Asimov, Robert E. Howard und schrieb die letzten drei Lensmen-Romane nach dem Tod von E. E. Smith), um sich für eine WorldCon in London starkzumachen, da er seine Sekretärin heiraten und den Besuch in London als Hochzeitsreise nutzen wollte. Dazu charterte er ein komplettes Flugzeug mit etwa 50 Plätzen und ließ seine Lektoren und Autoren für eine geringe Eigenbeteiligung mitfliegen, wodurch in London viele bekannte US-Autoren anwesend waren. Die erste europäische WorldCon war also eigentlich eine Hochzeitsreise. 🙂
Thomas hat nie Abitur gemacht und sich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet, zur Begründung sagte er selbst: »Mein größtes Ziel wäre, mit einem Jet, ich hab das Wort Düsenjäger benutzt, mit einem Düsenjäger und einer Atombombe auf den Kreml zu fliegen, nicht, um diese Kommunisten, diese verdammten, auszurotten. Also hier, Selbstmordattentäter, das ist nichts Neues, wir waren damals alle so, nicht. Das ist doch, wenn du gehst, du hast eine Scheißwut auf die Kerle, dann musst du sie kaputtmachen, als Jugendlicher, man denkt doch nicht weiter.« Bei der Luftwaffe hat er unter anderem Aufklärung unter extremistischen Gruppen, sowohl links- als auch rechtsextrem, für den Verfassungsschutz durchgeführt und Vorträge, Werbung gegen den Kommunismus betrieben. Dazu gehörte auch, den Film »1984« als Warnung vor dem Kommunismus vorzuführen, was er dann auch auf SF-Treffen und -Conventions tat. Die Parallelität zwischen politischer Werbung (Propaganda) und Science-Fiction hat er immer wieder beobachtet.
Sein erster, unter Pseudonym veröffentlichter Roman (wurde im Gespräch nicht benannt: »Unternehmen Dämmerung« als Mike Parnell 1961, Verlag Widukind / Gebrüder Zimmer, nachgedruckt als Zauberkreis Exklusiv 107, Zauberkreis Verlag, Rastatt) wurde nur veröffentlicht, weil Thomas, es war kurz vor Weihnachten, einen Tannenzweig oben auf das aufs Paket mit dem Manuskript gelegt hat. Er hat erst später erfahren, dass die Dame in der Poststelle diese Geste so nett fand und deshalb sein Paket an den Lektor weitergegeben hat, sonst wäre er direkt im Müll gelandet. Seine Romane, beispielsweise Spionageromane, waren oft SF-orientiert und gut recherchiert, beispielsweise warum die Russen etwas schneller im Weltraum waren als die Amerikaner. 1967 war er eine Woche vor dem Sechstagekrieg im Libanon und in Jerusalem (damals noch Jordanien) gewesen, auch das hat er in einem Roman verarbeitet.
Thomas war in Bielefeld und teilweise in Hannover im Fandom aktiv. Dort waren unter anderem W. W. Shols, Ulf Miehe (der spätere Filmemacher), Tom Schlück (der Literaturagent Thomas Schlück) und Wolfgang Thadewald aktiv. Er wusste, dass es beispielsweise in Hamburg, Kiel und im Ruhrgebiet Fans gab, Kontakte gab es aber kaum, die SF-Szene in West-Berlin war ihm völlig unbekannt. Für ihn spielte sich das Hauptfangeschehen vor allem im Süden ab, in Bayern und Österreich, und sie in Bad Salzuflen, Bielefeld und Hannover waren so norddeutsche Ableger. In Hannover gab es nur ein Fanhighlight Anfang der 1960er: der Besuch von Forrest J. Ackerman in Hannover, das hat Thomas damals schon etwas gefilmt. Forrys Frau sprach Deutsch und hat übersetzt. Zum Essen mussten sie in der Kneipe anstehen, und es gab Schüsseln mit etwas Rotem drin. Forry fragte seine Frau, was das sei, die Antwort war »Rote Grütze«, und er meinte dann »Give me one Red Gruuse!« Das war dann eine schöne Anekdote im Hannoveraner Fandom.
Die Gruppe Hannover/Bielefeld/Bad Salzuflen gab das Fanzine »SOL« heraus, in dem auch Thomas erste Schreibübungen veröffentlichte. Während dieser Zeit hat Thomas auch ein eigenes Fanzine mit dem Namen »Pilot« herausgegeben mit nur einer Ausgabe, die ihn 150 Mark gekostet hat, denn als Titelblatt hat er Fotoabzüge verwendet, 150 Mark für 150 Fotoabzüge zu je einer Mark. Das war seine Investition in ein eigenes Fanzine.
Anfang der 1970er-Jahre war Thomas fest bei Ferrero in Italien angestellt. Als die italienischen Fans feststellten, dass er Autor ist, haben sie ihn zu ihren nationalen Conventions eingeladen, »weil Schreiberling ist was in Italien, genau wie in Frankreich.« Dadurch war er auch im Juli 1972 auf der 1. EuroCon in Triest, wo unter anderem Erich von Däniken Ehrengast war.
Jörg Weigand hat Thomas 1983 in Bergisch Gladbach zum Robert-Sheckley-Preis (wohl nur dieses eine Mal vom Verlag Bastei-Lübbe verliehen) verholfen, genauer gesagt zum zweiten Preis, noch genauer einem von zwei zweiten Preisen, und auch der dritte Preis wurde zweimal vergeben. Der Preis war dotiert, Thomas hat 1.500 Mark sowie Honorar für eine Veröffentlichung bekommen (dies war möglicherweise der Grund für seinen Verlagswechsel von Heyne zu Bastei-Lübbe, im Gespräch kam das nicht zur Sprache). Thomas fand das Vorgehen, eine Preisstufe mehr als einmal zu vergeben, den Preisträgern gegenüber unfair. Noch schlimmer hat es ihn beim Penthouse Creative Cup 1985 getroffen. Der erste Preis war mit 15.000 DM dotiert, für den zweiten und dritten Preis gab es jeweils eine 2.000 DM teure Penthouse-Uhr, und auch die weiteren Platzierungen gingen nicht leer aus. Die Jury entschied sich aber für acht erste Plätze, sodass das Preisgeld des ersten Platzes durch 8 geteilt wurde und jeder Preisträger damit nicht ganz 2.000 Mark erhielt – auch Geld, aber unbefriedigend für die Teilnehmer und weniger, als sie für niedrigere Plätze erhalten hätten.
1992 sprang Thomas sehr kurzfristig als Ersatz für Walter Ernsting als Ehrengast der Convention in Freudenstadt ein. Ernsting hatte aus Furcht vor der deutschen Steuerbehörde so kurzfristig abgesagt (von Ernstings Sohn Robert am Abend vor meinem Gespräch mit Thomas in seinem Vortrag auf der OldieCon bestätigt), 1981 war er nach Irland nahe Youghal im County Cork gezogen, kehrte aber später aus gesundheitlichen Gründen zurück, um in der Nähe seiner Kinder in Salzburg zu leben. Thomas wurde für Freudenstadt alles bezahlt, Flüge von Tempelhof nach Basel und zurück, Taxi, Hotel und so weiter, es wurde ihm aber nie gesagt, von wem das Geld zur Verfügung gestellt wurde. Er vermutet, dass es von Hannes Riffel kam, der damals die UFO-Buchhandlung in Freiburg im Breisgau führte und heute die SF-Reihe bei Fischer-Tor herausgibt. Mit Hannes Riffel hat sich Thomas einen schweren Fauxpas geleistet, als er ihn später in seiner dann nach Berlin umgezogenen UFO-Buchhandlung besuchte und ihn fragte: »Kennen wir uns?« Diese Vergesslichkeit tat Thomas sehr leid, zumal sie dazu führte, dass er nie eine Veröffentlichung in einem der von Riffel betreuten Verlage bekam.
1985 war Thomas auf der ItalCon XI in Fanano am Nordende des Apennin. Im Gegensatz zu Deutschland gehören in Italien auch künstlerische Darbietungen vieler Formen zum Congeschehen. Im ganzen Dorf wurden Kunstwerke zum Thema Science-Fiction und Mittelalter aufgebaut, und über drei Tage gab es die Aufführung eines Gerichtsverfahrens: Anklage der Science-Fiction-Autoren, Verteidigung der Science-Fiction-Autoren und das Urteil über die Science-Fiction-Autoren – »die Arena di Verona war nichts dagegen!«
Im Rahmen der ItalCon XI in Fanano fand 1985 auch die Jahrestagung von World SF statt, einem Freundeskreis zur Förderung der Science-Fiction, vor allem des Austausches zwischen den beiden Machtblöcken Ost und West. Dort bat ihn die damalige Vorsitzende des westdeutschen Teils von World SF, ihr Nachfolger zu werden. Er musste allerdings gewählt werden, Proredner für ihn war Frederik Pohl (der 1980–1982 Vorsitzender der gesamten World SF war). Thomas wurde gewählt, erhielt von seiner Vorgängerin einen Ordner mit Schriftverkehr und stellte fest, dass demnach nur 10 der etwa 60 westdeutschen Mitglieder ihren Beitrag noch nicht bezahlt hatten, und mahnte die ausstehenden Beiträge an. Was er nicht wusste: Die meisten hatten bezahlt, aber die Kasse war bei seiner Vorgängerin verblieben, und trotz mehrerer Mahnungen hat er die Kasse nie erhalten.
Thomas hat sich schon früh mit dem Klimawandel beschäftigt, was in seinen Roman »Die Entführung des Serails«, 1986 bei Bastei-Lübbe erschienen, einfloss. Dort ist Südengland überflutet, Hauptaufhänger ist die tatsächlich existierende Oper von Glyndebourne in East Sussex, in der Mozart-Opern in deutscher Sprache aufgeführt werden. Das fand Thomas so bemerkenswert, dass er es unbedingt in einem Roman verarbeiten wollte.
Vermutlich Ende der 1980er Jahre, ein Zeitpunkt wurde im Gespräch nicht genannt, war Thomas Kreativdirektor für den Berliner Senat, also sowohl für die touristische (Verkehrsamt) als auch die politische (Presse- und Informationsamt) Werbung, das lief alles über seinen Schreibtisch. Er wollte mal wieder auf eine Convention in England und überlegte, dass man eigentlich mal eine WorldCon nach Berlin holen könnte. Also hat er seine Auftraggeber gefragt, ob sie interessiert wären. Die hatten natürlich keine Ahnung, was eine Science-Fiction-Convention ist, aber eine Veranstaltung mit fünftausend bis achttausend Besuchern war natürlich attraktiv. Also hat er ordentlich Prospekte und einen klappbaren Messestand mitbekommen und dann auf der Convention mit seiner Frau Werbung gemacht.
Dabei kamen andere Deutsche auf ihn zu und boten Hilfe an, auch eine Gruppe aus Saarbrücken um einen Rechtsanwalt. Hauptfrage der Conbesucher war, wie die Hotels in Berlin aufgestellt sind. Also wurde nach der Rückkehr beschlossen, dass sie bessere Informationen benötigen, wie WorldCons veranstaltet werden. Berlin hat also eine Mitarbeiterin in die USA zur SMOFCon geschickt, den Con der Converanstalter.
Thomas’ Bruder, zu der Zeit Doktor an der Yale-Universität und ebenfalls SF-Fan, kam zur besseren Kommunikation mit den US-Amerikanern ebenfalls. Es wurde klar, dass erwartet wurde, dass Veranstaltungsräume und Hotel zusammenliegen müssen, am besten ein Gebäude, da längere Wege nicht erwünscht sind. In der nötigen Größe gab es in Berlin genau ein Hotel, das sich eignete.
In der Zwischenzeit hatten sich die Saarländer wieder gemeldet und Thomas in Berlin besucht, um zur Conorganisation eine GmbH zu gründen. Der Rechtsanwalt hat die Formulare ausgefüllt, und weil Thomas den Kontakt zu den Geldgebern hatte, kam sein Name in die Spalte für den Geschäftsführer. Einige Zeit später rief der Rechtsanwalt wieder an, sagte, in Montpellier sei eine Convention, und ob er dort Werbung für die Berlin-Con machen solle. Thomas stimmte zu, ohne sich etwas dabei zu denken. Nach der Convention schickte der Rechtsanwalt ihm die Rechnungen für Flug, Conbeitrag, Hotel, Essen etc. – die GmbH solle das zahlen.
Die war aber noch gar nicht eingetragen (was der Rechtsanwalt hätte getan haben sollen) und hatte natürlich auch noch kein Geld. Also hat der Rechtsanwalt Thomas verklagt, er solle das von seinem eigenen Geld zahlen, er hätte ja einen Auftrag erteilt. Leider hat Thomas den Prozess verloren. Daraufhin hatte er natürlich keine Lust mehr, sich noch für die Berlin-Con einzusetzen, die damit durch die Gier dieser Saarländer gestorben war.
Aus anderer Quelle habe ich gehört, dass im saarländischen SF-Fandom die Idee der Berlin-Con etwas hämisch betrachtet wurde: Wir glauben nicht, dass das was wird, aber Kostenübernahmen von Reisen & Co. für Con-Werbung nehmen wir gerne mit. Es ließ sich nicht mehr feststellen, ob das vor oder nach dem Prozess gegen Thomas aufkam.
Das Beispiel scheint jedenfalls Schule gemacht zu haben, ich hatte vor einigen Jahren mit einem anderen Saarländer zu tun, der ebenfalls eine Urlaubsreise als angeblichen Auftrag über den Verein abrechnen wollte.
Nachdem Thomas kurz hintereinander zweimal (westdeutscher Teil von World SF und Berlin-Con) erhebliches Lehrgeld im SF-Fandom hat zahlen müssen, hat er sich komplett aus dem SF-Fandom zurückgezogen. Er hegt gegen die Verursacher keinen Groll mehr, sondern ärgert sich über sich selbst, dass er so leichtgläubig war. Allerdings werden diese Vorfälle immer noch falsch kolportiert – er habe bei World SF unterschlagen und die Berlin-Con kaputt gemacht, obwohl es genau umgekehrt war. Diese ständige Verbreitung der Unwahrheit ärgert ihn. Thomas möchte die alten Sachen nicht wieder aufwärmen, aber schon richtigstellen, was damals tatsächlich geschehen ist.
Das Lehrgeld bei World SF hatte immerhin einen späten positiven Effekt: 1991 fand die Jahrestagung von World SF auf Einladung der chinesischen Führung in Chengdu (Provinz Sichuan) statt, und ausgewählte World-SF-Amtsträger durften die Satellitenstartanlage des Kosmodroms Xichang besuchen. Als westdeutscher Chairman gehörte Thomas dazu. Er ist damit einer der wenigen Deutschen, die das Kosmodrom besuchen durften. Mit ihm waren weitere bekannte Autoren eingeladen, darunter Brian W. Aldiss, Frederik Pohl, Malcom Edwards und Jack Williamson. Bei der Einladung glaubte man bei World SF zunächst, die chinesische Regierung hätte einen Fehler gemacht, denn sie waren Autoren von Science-Fiction, nicht von Science (Wissenschaft).
Erst während der Reise wurde ihnen klar, dass keineswegs ein Irrtum vorlag, sondern sie Teil einer Propagandaaktion waren – es waren gerade zwei Jahre seit dem Massaker auf den Platz des Himmlischen Friedens durch die rotchinesische Führung vergangen. Originalton Thomas: »Und wir haben uns benommen wie die nützlichen Idioten.« Trotzdem konnte Thomas in Chengdu in der Akademie für Wissenschaft und Technik aus seinem Roman »Der Tag, an dem die Mauer brach« von 1985, der die friedliche Revolution in der DDR vorwegnah, lesen und darüber mit dem Publikum diskutieren, »das war heiß und fettig!« Thomas hat dabei auch festgestellt, dass China eine etwa zweitausendjährige Science-Fiction-Tradition hat – Roboter, künstliche Intelligenz, das ist in China schon vor langer Zeit erdacht worden.
Ein weiterer Vorgang, über den offenbar falsche Informationen im Umlauf sind, ist das Erbe von Wolfgang Thadewald, genauer gesagt dessen große Jules-Verne-Sammlung. Thomas R. P. Mielke ist zugetragen worden, dass Thomas Le Blanc, Gründer der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, behauptet habe, mit Wolfgang Thadewald bereits einen Vertrag geschlossen zu haben. Das ist falsch, weder gab es einen solchen Vertrag, noch hat Thomas Le Blanc jemals so etwas behauptet. Natürlich hätte Thomas Le Blanc die Jules-Verne-Sammlung gern in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar gehabt und war auch mit Wolfgang Thadewald in Kontakt. Das Testament teilte die Buchsammlung jedoch auf: Die Phantastische Bibliothek Wetzlar erhielt einen Teil, die Jules-Verne-Sammlung mit über 3.000 Bänden jedoch ging an die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek (Niedersächsische Landesbibliothek Hannover).
Das weiß Thomas aus erster Quelle, und ich habe es einen Monat vor meinem Gespräch mit Thomas R. P. Mielke genauso von Thomas Le Blanc erfahren. Es gab keinen Streit um das Erbe von Wolfgang Thadewald, zumal das Testament eine klare Aufteilung vorgenommen hat.
Gegen Ende des Gesprächs hat Thomas einen Satz gesagt, der seine Haltung zu sich selbst so schön auf den Punkt bringt, dass ich ihn als Überschrift für diese Erinnerungen gewählt habe:
»Mehr war nicht, es war ein ruhiges, beschauliches Leben.«
Das drückt Thomas’ Zufriedenheit sehr schön aus, die das ganze Gespräch über zu spüren war. Er war trotz allem Auf und Ab mit sich und seinem Leben im Reinen. Ich hoffe, dass ich das an meinem Lebensende auch sein kann.
Danke, Thomas!
Danke für deine Werke, aus denen deine Denkweise weiter zu uns spricht. Danke, dass du dir so viel Zeit für einen dir völlig unbekannten Fan genommen hast. Danke, dass ich mich so toll an einen wunderbaren Menschen erinnern kann!
Ich wünsche dir alles Gute, viel Glück und vor allem Zufriedenheit, wo auch immer du jetzt bist.
»Mehr war nicht, es war ein ruhiges, beschauliches Leben.« Erinnerungen an und von Thomas R. P. Mielke von Martin Stricker erschien zuerst in der Printausgabe der ANDROMEDA NACHRICHTEN 271
Danke lieber Martin! Ein sehr schöner Nachruf und wirklich schöne Erinnerungen an meinen Vater. Auch gilt mein Dank an Michael Haitel und dem gesamten Team der ANDROMEDA NACHRICHTEN für den tollen Support und die Erlaubnis, den Nachruf hier auf meiner Seite zu veröffentlichen!
Alles Gute euch, Marcus O. Mielke